Tibet-Filmfestival 1999
Beiträge
von Geshe Thubten Ngawang
von Elie Wiesel
von Wolf Kahlen
von Helmut Steckel


Unterstützung für Tibet

"Ich freue mich, daß wir, insbesondere dank des kontinuierlichen Einsatzes von Helmut Steckel und der Tibet Initiative Deutschland e.V., Regionalgruppe Hamburg, auch in diesem Jahr wieder ein Tibet-Filmfest im Abaton-Kino veranstalten können. Ich danke allen, die an der Organsiation und Durchführung der Veranstaltung beteiligt sind und verbinde meinen Dank mit der Hoffnung und der Bitte, daß die Tibet-Initiative auch in den kommenden Jahren ihren Einsatz für meine Heimat Tibet nach besten Kräften fortsetzen möge und ihre Aktivitäten noch weiter ausdehnen kann.
Geshe Thubten Ngawang

In Tibet kommt es immer wieder vielerorts zu schweren Menschenrechtsverletzungen. So berichtet das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie in Dharamsala, daß am 31. 10. 99 in Karze (Osttibet) Beamte des Büros für Öffentliche Sicherheit das Feuer auf 3000 friedliche Demonstranten eröffneten, wobei viele Menschen verletzt wurden. Es soll zu mindestens zehn Verhaftungen gekommen sein. Der Protest erhob sich sechs Tage, nachdem drei Mönche des Dhargye Kloster in Karze verhaftet worden waren, unter ihnen auch ein in der Region sehr bekannter buddhistischer Lehrer. Geshe Sonam Phuntsok, der 1951 während des Einmarsches der Chinesen nach Tibet in Karze geboren wurde, unterrichtete in den 80iger Jahren über 70 Mönche von 35 verschiedenen Klöstern in tibetischer Literatur, Grammatik, Geschichte und Buddhismus. Auch veröffentlichte er zwei Bücher über die Geschichte von Klöstern in der Region. Sein derzeitiger Verbleib ist nicht bekannt.

Ich bitte Sie, uns zu unterstützen, die Schwierigkeiten und Leiden des tibetischen Volkes möglichst weit bekannt zu machen und sich für die Freilassung der verhafteten Personen einzusetzen."

Geshe Thubten Ngawang

Geshe Thubten Ngawang, tibetischer Gelehrter und Meditationsmeister, lebte von 1979 bis 2003 als geistlicher Leiter im Tibetischen Zentrum in Hamburg, wo er im Januar diesen Jahres verstarb. Mit 11 Jahren wurde er Mönch im Kloster Sera in Zentraltibet; 1959 mußte er vor der chinesischen Invasionsarmee nach Indien flüchten. Hier legte er nach insgesamt 37 Jahren Studiums und religiöser Praxis die Prüfung für den Titel eines Lharampa-Geshe ab, des höchsten Ausbildungsgrades der großen Klosteruniversitäten. Im deutschsprachigen Raum hat Geshe Thubten Ngawang sich insbesondere durch das von ihm konzipierte "Systematische Studium des Buddhismus", das in sieben Jahren neben dem Beruf absolviert werden kann, große Anerkennung erworben. Geshe Thubten Ngawang ist Autor und Herausgeber verschiedener Bücher über den tibetischen Buddhismus.


Freiheit für Tibet


"Schon während meiner Studienjahre fühlte ich mich nach Tibet und seinen unerforschten Geheimnissen hingezogen. Tibet verlockte in mir den romantischen Wanderer ebenso wie den zur Mystik neigenden Juden. Es schien das Zentrum einer fremdartigen Welt zu sein, ein exotischer Ort, wo sich die Menschen um Schlichtheit bemühen und sich nicht scheuen, den Sinn alles Alltäglichen zu hinterfragen. Oft drängte sich mir der Gedanke auf, Tibet müsse für manche - vielleicht sogar für viele - das sein, was Jerusalem für mich ist: der physische Ausdruck der metaphysischen Sehnsucht nach menschlichem Mitgefühl und göttlicher Allgegenwart. Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Tibetern ging ich bis zu der Überlegung, der Begriff Lama könne aus der Heiligen Schrift stammen. Dem ist aber nicht so, denn das hebräische Wort Lama hat nichts mit Mönchen oder Heiligen zu tun; es heißt schlicht "warum".

Man nehme es mir nicht übel, wenn ich mich jetzt dieser hebräischen Bedeutung zuwende, denn sie scheint mir von Bedeutung zu sein: Warum? - das ist die Frage, wenn wir über Tibet sprechen. Warum haben wir Tibet so lange vergessen? Warum hat sich China zur Invasion Tibets entschlossen? China ist riesig; warum braucht es Tibet? Und warum sieht die zivilisierte Welt dem so teilnahmslos zu? Warum setzen wir unsere moralischen Kräfte, unsere intellektuellen Kräfte und unsere Geisteskräfte nicht stärker ein, um einer kleinen Nation mit beispielhaften religiösen Traditionen zu helfen? Einer Nation, die mit Waffengewalt erobert und mit totalitären Doktrinen unterdrückt worden ist. Warum schweigen wir, wenn Tibet unsere Stimme braucht?

Fragen, die besonders die unter uns quälen, die an jene Gewaltlosigkeit glauben, für die Tibet ein Symbol ist. Tibet beansprucht von niemandem Land und will niemanden beherrschen. Tibet will nur frei sein; es will seine Souveränität und Freiheit zurückgewinnen. Ist es nicht die Pflicht jedes anständigen Menschen, es dabei zu unterstützen? Wenn Freiheit unser höchster Wert ist, so gehört es zu den erhabensten und lohnendsten menschlichen Aufgaben, anderen die Freiheit zu erhalten oder sie ihnen zu verschaffen.

Sicher kennen Sie den Brauch des Geschenketeilens im Orient. Wenn man einem Freund eine Freude bereiten will, schenkt man ihm einen Käfig mit einem Vogel darin. Und dem Freund steht dann das Privileg und die Freude zu, die Käfigtür zu öffnen. Stellen wir uns vor, wie groß unsere Freude wäre, könnten wir den Tibetern helfen, ihren eigenen Käfig zu öffnen. Denn es ist das, was uns wehtut: daß die Tibeter zu Gefangenen in ihren eigenen Heimen geworden sind. Ich fordere Sie auf, die Tibeter bei der gewaltlosen Rückgewinnung dessen zu helfen, was man ihnen genommen hat."

Elie Wiesel

Elie Wiesel ist weltbekannter Schriftsteller, Wissenschaftler und Nobelpreisträger des Jahres 1986. Er ist derzeit Professor der Geisteswissenschaften an der Andrew W. Mellon Universität und Professor der Religionslehre an der Boston University.
Die traurige Hommage an die Tibeter ist als Epilog in dem Bildband "Das Gesicht Tibets. Die Kraft des Mitgefühls" mit Fotografien von Phil Borges und Texten Seiner Heiligkeit, dem 14. Dalai Lama im Kunstverlag Weingarten 1996 erschienen.



Chinas Sichtweise


"Die chinesischen Regierungen der Vorzeiten, anders als die mongolisch beherrschten der letzten Jahrhunderte, und die Zeiten nach der Abschaffung der Kaiser, haben immer lüstern von Osten her auf die Westliche Schatzkammer (so heißt Xizang/Tibet übersetzt) geblickt, wobei der angepeilte Schatz nicht etwa der Buddhismus war, sondern materielle Güter. Die Tibeter haben immer in alle Richtungen, West wie Ost, Nord und Süd gesehen, schon allein deswegen, um sich alle auf Distanz zu halten oder deren Technologien, wenn sinnvoll, ins Land einzuladen (Baukunst, Bronzeguß, Seidenwebtechniken etc.).
Wolfgang Kahlen

Jetzt schaut die Welt auf Tibet, China aber nicht zurück in die Welt, was Tibet betrifft, sondern beharrt rücksichtslos auf seinem Xizang-Blick und hat sich mit geplanter und ausgeführter Infrastruktur bis zu Hauptanteilen an Energiequellen (Öl) im Westen Tibets auf der anderen Seite der Grenze, fest in den Sattel der Ausbeutung der Erde und der Menschen gesetzt.

Meine Filme seit 1985 sind Dokumente all dessen, was langfristig in Tibet (vielleicht nicht im Westen, wenn auch in erneuerter Form) dem Untergang geweiht ist, machen wir uns nichts vor: den Philosophen des Buddhismus und den Künsten wie Architektur, Malerei, Bildhauerei; Theater, Poesie und Musik. Ich bin von deren konzeptueller künstlerischer Kraft so ergriffen, daß ich meine Wahrnehmungen dieser "flüchtigen Schätze" für neue Zeiten dokumentiere und glaube, daß auf Dauer die Wertschätzung dieser Schätze stärker ist als alle politischen, der Aktualität anheimfallenden Anklagen an die, die die Auflösung der Schätze systematisch – wohl aus falscher Einsicht, wie bei der ersten Kulturrevolution – betreiben.

Bei einer Gastprofessur 1990 in China habe ich gespürt, wie notwendig und prägend es auch für die chinesischen Studenten ist, diese Schätze anders als in folkloristischen und propagandistischen Tageszeitungsberichten kennenzulernen. Die z. Zt. in Deutschland in verschiedenen Städten laufenden chinesischen Filme über Tibet, unterstützt von der chinesischen Botschaft, zeigen peinlich wirkende Folklore und unsägliche Propaganda; sie sind politischer und kultureller Kitsch, sentimentale Irreführungen und Glänzen mit fremden Federn."

Wolf Kahlen

Wolf Kahlen ist Künstler von internationalem Ruf. Er lehrt Bildhauerei im Fachbereich Architektur der Technischen Universität Berlin. Leiter der "Ruine der Künste Berlin". Wolf Kahlen beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem tibetischen Kulturkreis. Seine filmische Werkschau umfaßt folgendeVideodokumentationen: "Dakinis in Jurten. Chöd-Meisterinnen der Mongolei", "skor-lam. Gebetsmühlen, Amulette, Niederwerfungen", "Der Dämon im Stein", "Vom Leben und Sterben und der Wiederkehr des SerkongRinpoche und seine Inthronisation im Kloster Tabo in Spiti", "Tibets Leonardo. Thang-stong rGyalpo - Leben undWerk", "Der Lama, die Jurte, das Orakel. Unterwegs mit einem Lama in der Mongolei" (Mongolisches Diptychon,linke Hälfte), "Von Beruf Lama. Heimat Mongolei" (Mongolisches Diptychon, rechte Hälfte)



Tibet-Filme in Hamburg


"Vom 6. - 10. Dezember 1989 zeigte das Abaton-Kino in Hamburg erstmalig in Deutschland eine Reihe von Filmen über Tibet, die sich beim Publikum regen Zuspruchs erfreuten. Es waren u.a. die Filme "Gewaltlosigkeit - Weg zum Frieden. Der 14. Dalai Lama" von Michael von Brück, "Mysterium auf dem Dach der Welt. Tibet gestern und heute", ein BBC-Dokumentarfilm und ein den Chinesen entwendeter "Chinesischer Polizei-Lehrfilm über die Niederschlagung des tibetischen Volksaufstandes am 5. März 1988". Der Veranstalter der ersten Filmwoche 1989 war amnesty international in Hamburg. In den Jahren 1991 - 1998 übernahm die Regionalgruppe Hamburg der Tibet Initiative Deutschland e.V. zusammen mit dem Tibetischen Zentrum e.V. Hamburg und dem Abaton die Organisation die jährlich stattfindenden Tibet-Filmtage.

Die diesjährigen Jubiläumswochen werden einige neue Filme dem Publikum präsentieren: es sind dies "Thang-stong rGyalpo. Der Leonardo Tibets" von Wolf Kahlen, "Auf dem Weg nach Zanskar" und "Der blaue Fluß" von Werner Lütje, von demselben Regisseur ein 1996 in Bonn geführtes "Interview mit dem Dalai Lama", "Himalaya. Die Kindheit eines Karawanenführers" von Eric Valli und der schon angelaufene Film "Spiel der Götter. Als Buddha den Fußball entdeckte" von Khyentse Norbu.

Außerdem werden im Abaton-Kino zwei chinesische Dokumentarfilme über den Dalai Lama und den Panchen Lama die subtile Propaganda der Volksrepublik China aufzeigen. Die Filme verschleiern durch Bild und Ton die seit 1950/51 bestehende militärische Gewaltherrschaft in Tibet. Wir werden die Filme in einen kritischen Kontext stellen. Dazu gehören vor dem Abaton eine Mahnwache am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, mit dem chinesischen Redner Chen Nailiang von der Föderation für ein Demokratisches China und einem tibetischen Friedensgebet, die Filme "Widerstand des Geistes" von Clemens Kuby, "Chinas Tibet?" von Rosa Mars, "Botschafter der Toleranz / Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama", "Eine kurze Geschichte Tibets" und "Das Feuer hüten / Die tibetische Kultur" von Friedhelm Brückner."

Helmut Steckel

Helmut Steckel, Oberstudienrat an Sonderschulen und Präventionslehrer an Hamburger Grundschulen, arbeitet seit 1979 bei amnesty international für die Menschenrechte in China und seit 1989 in der von ihm mitgegründeten "Tibet Initiative Deutschland e.V.", dessen zeitweiliger Vorsitzender er war. Helmut Steckel ist Herausgeber des 1988 im Rowohlt-Verlag erschienenen Taschenbuches "China im Widerspruch. Mit Konfuzius ins 21. Jahrhundert?" und des Sammelbandes "Tibet – eine Kolonie Chinas. Ein buddhistisches Land sucht die Befreiung". Er organisierte die Fotoausstellungen "China im Widerspruch" (1985) und "Tibet – Zerstörung einer Hochkultur" (1991).