Wer schweigt, macht sich schuldigMeine 19 Jahre in Chinas Straflagern
Harry Wu
Dia- und Filmvortrag mit Harry Wu
am Mittwoch, den 9. März 2005, um 19:30 Uhr
in der Aula der Gesamtschule Eppendorf,
Curschmannstr. 39, 20251 Hamburg
Eintritt: 3,- Euro
Veranstaltungsinformation (PDF)
Die Volksrepublik China sucht Anschluss an den Weltmarkt, in Peking geben sich Politiker und Wirtschaftsführer aus aller Welt die Klinke in die Hand. Was kaum einer weiß und niemand wissen will: In China gibt es - heute noch! - ein System von Zwangsarbeitslagern, das dem von Alexander Solschenizyn beschriebenen Archipel Gulag der ehemaligen Sowjetunion an Umfang und Brutalität in nichts nachsteht.
Harry Wu ist einer der prominentesten Persönlichkeiten in den USA, der als Mitbegründer und derzeitiger Vorsitzender der Laogai Research Foundation gegen Zwangsarbeitslager in China und die dort verübten Menschenrechtsverletzungen kämpft.
Harry Wu hat die Grausamkeiten der chinesischen Arbeitslager, sog. Laogai, am eigenen Leibe erfahren. 1937 in Shanghai als Sohn eines Bankiers geboren, besuchte er eine elitäre Jesuitenschule, bevor er sein Studium am Pekinger Geologischen Institut begann. Im Alter von 23 Jahren wurde er verhaftet und ohne jegliches Gerichtsverfahren 19 Jahre lang in einem Lager gefangen gehalten - aus dem einzigen Grund, Kritik an der chinesischen Kommunistischen Partei geübt zu haben. Seit seiner Freilassung 1979 setzt er sich intensiv dafür ein, die Menschenrechtsverletzungen in den Arbeitslagern ans Tageslicht zu bringen.
1985 übernahm Harry Wu eine Gastdozentur an der University of California in Berkeley und emigrierte in die USA. Er unternahm jedoch auch immer wieder verdeckte Reisen nach China, um Informationen über die Haftzentren, Lager und Produktionsstätten des Laogai-Systems zu sammeln. Ausgerüstet mit einer Mini-Videokamera dokumentierte er Gespräche mit ehemaligen Gefangenen und mit Ärzten, betrieb intensive Recherchen über den Handel mit Organen exekutierter Häftlinge. Er berichtete über die Verfolgung religiöser Minderheiten und über die Praxis öffentlicher Hinrichtungen. 1995 wurde er wegen „Diebstahls von Staatsgeheimnissen“ zu einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt, aufgrund seines Bekanntheitsgrades jedoch des Landes verwiesen. Über seine Erfahrungen hat er seither in verschiedenen Ländern referiert, er sagte vor dem US-Kongress aus und veröffentlichte zahlreiche Publikationen, darunter mehrere Bücher zum chinesischen Lager-System.
Wie in den Vorjahren werde aber die dunkle Seite des China-Booms auch diesmal totgeschwiegen, warnte die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) zur Eröffnung. Den Regierungen in Berlin und Beijing ginge es um Investitionssicherheit, Menschenrechte "spielen eine sehr untergeordnete Rolle". Auch Hamburg als größter China-Standort in Europa "kommt seiner Verantwortung bei der Durchsetzung von Demokratie nicht nach", griff ai den Senat an. Kritik an dessen China-Politik kam auch von Gewerkschaftsseite und der GAL.
Die Laogai Research Foundation wurde 1992 mit dem Ziel gegründet, das chinesische Laogai-System zu dokumentieren und in das öffentliche Bewußtsein zu rücken. Die gemeinnützige Organisation gibt regelmäßig verschiedene Publikationen und Untersuchungsberichte zu den Arbeitslagern heraus und informiert über systematische Menschenrechtsverletzungen, darunter öffentliche Hinrichtungen und den zunehmenden Handel mit Organen von Hingerichteten. Durch ihre kontinuierliche und seriöse Untersuchungsarbeit hat die Laogai Research Foundation in der englischsprachigen Welt einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt.
Der chinesische Begriff Laogai bedeutet "Reform durch Arbeit". Laogai bezeichnet ein umfassendes System von Arbeitslagern in der Volksrepublik China, das bereits unter der Führung Mao Tse Tungs entstand und bis heute zur Inhaftierung krimineller Personen wie auch politisch Andersdenkender dient. Wichtigste Ziele des Laogai-Systems sind zum einen die Rekrutierung billiger Arbeitskräfte für das kommunistische Regime, zum anderen sollen Kriminelle ebenso wie Dissidenten durch Zwangsarbeit und politische Indoktrination auf die gewünschte Linie gebracht werden. Der Laogai Research Foundation ist es gelungen, über 1000 Laogai-Lager in China zu dokumentieren. Die genaue Zahl der Inhaftierten wird von offizieller Seite geheim gehalten; aufgrund eigener Recherchen geht die Organisation von derzeit 4 bis 6 Millionen Zwangsarbeitern aus; seit Einrichtung der Arbeitslager waren etwa 40 bis 50 Millionen Menschen inhaftiert.
Laogai ist kein normales Gefängnissystem. Angesichts der zunehmenden inter-nationalen Aufmerksamkeit hinsichtlich der Verletzung von Menschenrechten versuchte das chinesische Regime, Laogai als ein normales Gefängnissystem darzustellen. 1994 wurde sogar in einer Reform der Strafgesetzgebung der Begriff Laogai durch Jianyu, d.h. Gefängnis, ersetzt. Ein anderer Name und die offizielle Propaganda können aber nicht darüber hinwegtäuschen: Ziel des Laogai-Systems ist nicht einfach die Bestrafung Krimineller im Rahmen der Gesetze, sondern die Unterdrückung jeglicher Anzeichen von politischem Widerspruch, indem die Inhaftierten durch Arbeit in produktive, sozialistische Bürger "reformiert" werden sollen. Als unerschöpfliche Quelle kostenloser Arbeitskraft spielen die Arbeitslager gleichzeitig eine bedeutende Rolle für das Wachstum der chinesischen Wirtschaft.
Massive Menschenrechtsverletzungen kennzeichen das Laogai-System. Politisch Anders- denkende werden in ganz China inhaftiert und ohne faire Gerichtsverhandlung oder rechtlichen Beistand verurteilt. Trotz des Folterverbots, zu dem sich China auch international verpflichtet hat, ist diese Praxis bei der Erpressung von "Geständnissen" und im Lageralltag weit verbreitet. Gefangene werden zu 16 bis 18 Stunden Arbeit täglich gezwungen, ohne jeglichen Schutz bei gefährlichen Arbeiten und ohne jegliche Form der Entlohnung. In keinem Land der Erde werden so viele Menschen hingerichtet wie in China – und mit den Organen der Hingerichteten wird auch noch Handel betrieben. amnesty international berichtete von offiziell 1062 Exekutionen im Jahr 2002, die tatsächliche Zahl der Hinrichtungen wird allerdings auf etwa 10000 Hinrichtungen pro Jahr geschätzt.
Laogai ist der Inbegriff gravierendster Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China. Politisch motivierte Verhaftungen, Folter, Administrativhaft, Zwangsarbeit, Todesstrafe und Handel mit den Organen der Hingerichteten sind die Kennzeichen dieses Systems, das an die Gulags in der ehemaligen Sowjetunion erinnert.
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