Ein Kämpfer für die MenschenrechteDer chinesische Dissident Harry Hongda Wu im KAIFU

Wenn irgendwo auf der Welt Unrecht geschieht,
so ist damit die Gerechtigkeit insgesamt bedroht,
sind wir doch gefangen im unausweichlichen Netz der Gegenseitigkeit,
das uns alle zusammenhält, die wir eine gemeinsame Bestimmung haben.

Martin Luther King

 

Am 10. März 2005 besuchte der chinesische Dissident Harry Wu aus Washington das KAIFU. In der Aula berichtete er vor der Oberstufe über seine 19 jährige Haftzeit in Chinas Arbeitslagern. Peter Müller von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte und Angelika Mensching-Oppenheimer von der Tibet Initiative Deutschland e.V. übersetzten. Sein Besuch verdient zweifelsohne in die Annalen des KAIFU aufgenommen zu werden.
Alle, die Harry Wu gehört haben, verließen nach dem einstündigen Vortrag nachdenklich die Aula. 
Es war eine Sternstunde für das KAIFU.

  Harry Wu ist eine der bekanntestes chinesischen Dissidenten und in den USA eine prominente Persönlichkeit. 1937 in Shanghai als Sohn eines Bankiers geboren, besuchte er eine Jesuitenschule, bevor er sein Studium am Pekinger Geologischen Institut begann. Erstmals wurde er als junger Student in Peking verhaftet, als er sich gegen die sowjetische Invasion Ungarns ausgesprochen und die Kommunistische Partei Chinas kritisiert hatte. Als "konterrevolutionärer Rechtsabweichler " wurde er 1960 in die "Laogai" - Chinas Arbeitslager - geschickt. Dabei durchlief  er zwölf verschiedene Zwangsarbeitslager: Chemiefabriken, Kohlenbergbau, Straßenbau sowie Lagern, die mit Rodungs- und Feldarbeiten zwecks Landgewinn beauftragt waren. Er wurde geschlagen, gefoltert und litt Hunger. Zahlreiche Mitge-fangene starben infolge von Brutalität, Hunger und Selbstmord. Harr Wu war Zeuge dieser Greuel.

  Nach seiner Freilassung 1979 konnte Harry Wu China verlassen und 1985 als Gastprofessor für Geologie an der Universität von Berkeley in Kalifornien lehren. Die akademische Laufbahn gab er allerdings später auf, um Bücher über sein Schicksal in China zu schreiben und als Menschenrechtsaktivist über das größte Zwangsarbeitssystem der Welt zu berichten. Für ihn ist die Freiheit das wichtigste Menschenrecht. Harry Wu machte es sich zur  Lebensaufgabe, weltweit auf die Unfreiheit , auf das System der Arbeits- und Strafgefangenenlager, auf die 6 –10 Millionen politischen Häftlinge in nahezu 1000 Arbeitslager aufmerksam zu machen. In zahlreichen Ausschüssen des US-Kongresses, in den Parlamenten von Großbritannien, Deutschland, Australien sowie im Europaparlament und der UNO berichtete er über das chinesische Zwangsarbeitssystem. Ende Juli besuchte er wiederum Deutschland als Gast der Friedrich-Naumann-Stiftung in Potsdam. Seit 1991 kehrte er immer wieder mit seiner Frau Ching Lee und Freunden nach China zurück, reiste heimlich ein, um mit versteckter Kamera sowie anhand von Notizen und Kassibern die Unmenschlichkeit des chinesischen Zwangsarbeits-Systems zu dokumentieren. Es entstanden eindrucksvolle Dokumentarfilme.

  Im Sommer 1995 passierte dann das Unvermeidliche: Harry Wu wurde bei der Einreise erkannt, verhaftet und für 66 Tage festgehalten und in einem Schauprozeß wegen des "Diebstahls von Staaatsgeheimnissen" zu 15 Jahren Haft verurteilt. Erst aufgrund internationaler Kampagnen zu seinen Gunsten wurde er freigelassen und abgeschoben. Hillary Clinton, die Frau des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton, die an der Weltfrauenkonferenz Mitte Juli 95 in Peking teilnehmen wollte, hatte sich für ihn als amerikanischen Staatsbürger eingesetzt. Seit seiner Freilassung arbeitet er wieder intensiv an seinen Dokumentationen und informierte die internationale Öffentlichkeit über die Laogais und ihre Greueltaten.

Peter Müller, Bredenbeck/Niedersachsen (Internationale Gesellschaft für
Menschenrechte/IGFM)

  Harry Wu ist der Gründer und leitende Direktor von Laogai Research Foundation mit Sitz in Washington. Seit 1992 arbeitet diese Institution, sammelt und verbreitet Informationen über die Zwangsarbeitslager (Laogai) und die stete Zunahme des Organhandels (Organe von zum Tode verurteilten und hingerichteten Gefangenen) in der VR China und betreibt Lobbyarbeit gegen diese unmenschlichen Zustände. Laogai wird dieses System der Zwangsarbeitslager genannt. Dieser Begriff wurde unlängst durch die Bemühungen von Peter Müller in den Duden als Bezeichnung der chinesischen Arbeitslager aufgenommen. Der Organhandel ist ein nicht zu übersehendes düsteres Kapitel menschlicher Perversionen. Die auch von amnesty international dokumentierten weltweit höchste Rate an Todesstrafen in China steht möglicherweise in einem engen Zusammenhang mit dem Handel von menschlichen Körperteilen. Was kaum einer weiß und niemand wissen will: In China steht das riesige System von Zwangsarbeitslagern dem von Alexander Solschenizyn beschriebenen Archipel Gulag  in der ehemaligen Sowjetunion an Umfang und Brutalität in nichts nach. Die chinesische Führung hüllt sich über die Dimensionen und Einzelheiten in Schweigen. Das Ausland darf nichts über dieses brutale System erfahren. Umso wichtiger ist es, Besucher aus der Volksrepublik China immer wieder nach den Laogais und der Durchführung von Hinrichtungen zu fragen. Todesurteile werden sehr oft auch in vollbesetzten Stadien vollzogen, wobei Schulklassen der Hinrichtung beiwohnen.

   In Hamburg besuchte Harry Wu neben der Oberstufe des KAIFU auch die Oberstufenklassen der Sophie-Barat-Schule. Im Rathaus gab es Gespräche mit Staatsrat Studt aus der Senatskanzlei, der Stellvertretenden Bürgerschaftspräsidentin Barbara Duden, mit dem  Fraktionsvorstand der GAL

Harry Wu im Gespräch mit
Dr. Verena Lapple und Christian Maaß

(Christa Goetsche, Christian Maaß) und der Stellvertretenden Bürgerschaftspräsidentin Dr. Verena Lapple. Zwei öffentliche Veranstaltungen organisierte die Regionalgruppe der Tibet Initiative Deutschland als Gastgeber von Harry Wu in der Gesamtschule Eppendorf und im Abaton-Kino. In der Sophie-Barat-Schule, in der Gesamtschule Eppendorf und im Kino zeigte Harry Wu seine heimlich gedrehten Filme. Zu einer Pressekonferenz lud die GAL außerdem ins  Rathaus ein.

Der Besuch in Hamburg hatte positive Folgen. Die Sendung "Kontraste" im ZDF entschloß sich kurzfristig zu einem Film und ARTE wählt für eine deutsch-finnisch-französische Co-Produktion über den Dalai Lama Harry Wu als Interviewpartner aus. Unsere Stadt war für Hamburg ein wichtiger Ort. Es sollte nicht vergessen werden, daß die „Welt am Sonntag„“, „Die Welt“, das „Hamburger Abendblatt“, die „tageszeitung“ (taz), die Online-Blätter „Hamburger Illustrierte“ und die „China-Notizen“ des Sinologen Prof. Dr. Stumpfeldt in unterschiedlichen Berichten auf den Besuch von Harry Wu aufmerksam machten.

Die Medien berichteten, daß heute in dem von Mao Tse Tung eingerichteten Zwangsarbeitslagern – 40-50 Millionen Menschen waren in den Lagern inhaftiert – Waren im großen Umfang hergestellt werden. Der Wirtschaftsfaktor dieses Lagersystems ist bedeutend. Die chinesische Wirtschaftspolitik kalkuliert den Profit der Zwangsarbeiter in ihre Jahrespläne mit ein. Zahlreiche Waren, die aus diesen Lagern stammen, werden ins Ausland verkauft. Neben Kinderspielzeug, Feuerwerkskörpern, Textilien, tibetischen Teppichen oder Sportartikeln sind es auch Zwangsarbeiterprodukte, die von ausländischen Firmen in Auftrag gegeben werden. In den „China-Notizen“ von Prof. Stumpfeldt gibt es eine Beschreibung des Lagersystems und eine genaue Auflistung der Waren, die auch über den Hamburger Hafen umgeschlagen werden. Die Verantwortung der hamburgischen Kaufmannschaft im China-Handel wurde in den Medien angemahnt. Mitschuldig machen sich diejenigen, die den chinesischen Lieferanten keine kritischen Fragen nach der Herkunft der Billigware  aus der Volksrepublik China  stellen. Harry Wu gab zu bedenken, dass jeder von uns durch die derzeitige Handelspraxis mit dem Laogai in Berührung kommen kann.

Sicherlich wird es wieder einmal möglich sein, im KAIFU einen authentischen Bericht über die Verletzung der Menschenrechte zu hören. Obgleich Menschenrechte für uns selbstverständlich sind, steht auch fest, daß sie immer wieder mißachtet werden. Organisationen wie amnesty international, die Gesellschaft für bedrohte Völker, die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, International Campaign for Tibet, die Tibet Initiative Deutschland und Institutionen wie die Laogai-Research-Foundation von Harry Wu in Washington und andere nationale und internationale Menschenrechtsgruppen können allerdings in ihrer Arbeitsweise als sehr wirkungsvoll angesehen werden. Soviel ist auch sicher: Neben einem ausgeprägten Rechtsbewusstsein, neben einer Kultur, die das Recht für ein hohes Gut hält, bedarf es immer wieder einer Erinnerung an rechtsstaatliche Verhältnisse und an die Wahrnehmung miß-bräuchlicher und unmoralischer Politik. Wenn wir sicher sind, daß die Menschenrechte für uns einen großen Wert haben, wir uns der Bedeutung der Menschenrechte immer wieder bewußt werden und uns darüber Gedanken machen, erst dann werden wir das internationale Klima stärker für die Einhaltung von Menschenrechten beeinflussen können. Wir wissen sehr gut, daß die Legitimität so mancher Regierungen nicht vorhanden ist. Unsere Sensibilität für Menschenrechtsverletzungen wird aber langfristig dazu beitragen, daß derartige Praktiken die innen- und außenpolitische Position von Unrechtsstaaten schwächen. Menschenrechtsverletzungen dürfen nicht toleriert werden.

Der Pelikan  – Schulmagazin - Heft Nr. 72, 10. Dezember 2005 – Gymnasium Kaiser-Friedrich-Ufer
Hrsg.: Eltern, Lehrer, Schüler und Ehemalige des Gymnasiums Kaiser-Friedrich-Ufer