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Hörbuch
Kailash - Reise zum Berg der Götter
Am Eröffnungstag der Kunstausstellung „Tibet - Dach der Welt“ im Oberstufenhaus Eimsbütteler Modell in Hamburg las der Schriftsteller Franz Binder aus seinem Buch „Kailash - Reise zum Berg der Götter“. Wir bringen an dieser Stelle eine Lese- und Hörprobe der Einleitung „Am Ziel“. Wir empfehlen dieses Buch, da es von Franz Binder mit großer Sensibilität, Einfühlungsvermögen und Intensität geschrieben worden ist. Keinesweg ist das Buch ausschließlich der Spiritualität und der Weltentrücktheit gewidmet. Der Titel läßt diese Vermutung zu. Es ist politisch und zeichnet die Kulturgeschichte Tibets und Indiens. Es ist auch bedrückend, sollte es zu einem Verlust der tibetischen Kultur durch die zunehmende Sinisierung kommen. Das Buch erschien in „Deutscher Taschenbuch Verlag“, München, Dezember 2006.
Das Hörbuch „Kailash - Reise zum Berg der Götter“ von vier CD`s, in dem die Sprecher Franz Binder und Martin Umbach eine große Anzahl von Texten des Buches lesen, gibt sehr eindrucksvoll die jahrtausendealten sakralen Orte und die Naturschönheiten des Kailash wieder. Die Begegnung mit den Religionen, die den Kailash zu ihrem heiligen Berg erklären, die Menschen, ihre Kultur, Mythen und Legenden sind ansteckend. Man möchte sofort aufbrechen, nach Indien und Tibet reisen, und den Kailash auf den Pilgerwegen umrunden. Die Impressionen der Pilgerreise um den Kailash schließen auch im Hörbuch Betrachtungen über die politische Situation Tibets mit ein. Das Hörbuch erschien bei Komplett-Media GmbH, Grünwald 2008. |
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Leseprobe aus Kailash - Berg der Götter
Einleitung: Am Ziel?
Die Nordwand des Kailash schimmert im Licht des Vollmonds
wie eine Pyramide aus Kristall, transparent, als leuchte sie von innen.
Die Yaks neben dem Zelt heben die Köpfe und schnauben weiße Wolken in die
Dunkelheit. Es ist drei Uhr morgens. Das Thermometer zeigt 20 Grad unter
Null. Es ist drei Uhr morgens. Das Thermometer zeigt 20 Grad unter Null.
Die Feuchtigkeit des Atems war am Schlafsack zu einer Eisplatte gefroren.
Keine leichte Entscheidung, sich aus den Daunen zu schälen, den Anorak überzuziehen,
in die Bergstiefel zu steigen, die eisstarre zeltplane zurückzuschlagen
und hinauszuschlüpfen in die Nacht. Doch es blieb keine Wahl. Die einzige
vorbeugende Maßnahme gegen die Höhenkrankheit besteht darin, viel zu trinken,
und das zwingt nachts zu ungemütlichen Ausflügen ins Freie.
Diesmal aber ist es anders. Der Anblick des Kailash unter dem schier unendlichen
Raum klaren, mondhellen Himmels macht alle Unbequemlichkeiten vergessen.
In diesem Augenblick, noch benommen vom Schlaf, der auf einer Höhe von etwa
fünftausend Metern über dem Meeresspegel nur leicht und flüchtig ist, sinkt
es zum ersten Mal wirklich ins Bewusstsein, daß ich angekommen bin, daß
ich vor dem heiligsten aller Berge stehe, mitten auf dem uralten Pilgerpfad,
der ihn umrundet. Unzählige Male sah ich den Kang Rinpoche, das Schneejuwel,
wie die Tibeter ihn nennen, auf Bildern. Schon in meiner Jugend las ich
‚Berichte der wenigen Reisenden, die den entlegenen Westen Tibets erreichten.
Nun erhebt sich tatsächlich der Kailash vor mir. Zugleich scheint er fern
und unwirklich im irisierenden Silberlicht, wie ein Traumbild, wie die Erscheinung
einer überweltlichen Manifestation. Hört man die zahllosen Mythen über das
Land auf dem Dach der Welt, so wäre eine solche Erscheinung nichts Ungewöhnliches,
hier in der dünnen Luft der menschenleeren Hochebenen Tibets. Geister, Dämonen,
Gottheiten und ihr Wirken im alltäglichen Leben gehören für viele Tibeter
so selbst verständlich zu ihrem Dasein wie Gebetsmühle und Tsampaschale.
Yogis und Lamas berichten von Visionen, die ihnen wirklicher scheinen als
die Wirklichkeit und sagen damit nur, daß auch die Welt bloße Illusion ist,
vergängliche Welle im unbegrenzten Meer des Geistes. Innen und Außen, Phantasie
und Wirklichkeit schmelzen zu Einem. Man muß nicht nach Tibet reisen, um
solchen Gedanken nachzuspüren, doch in Augenblicken wie diesem werden sie
in blitzartigem Aufleuchten plötzlich greifbar und verdichten sich zu einer
Gewissheit, für die es keine Worte der Erklärung mehr gibt.
Doch ich bin kein Yogi und auch nicht sonderlich begabt mit der Kraft innerer
Schau. Der Berg vor mir ist keine Erscheinung, sondern einfach ein Berg,
zwar der schönste und geheimnisvollste, den ich jemals sah, doch nur ein
Berg aus Fels und ewigem Eis. Ein vielbenutzte Sagensweise der Zen-Buddhisten
fällt mir ein: Für den gewöhnlichen Menschen sind Berge einfach Berge. Für
jene auf dem Weg sind die Berge keine Berge mehr. Wer aber die Erleuchtung
erreicht, für den sind Berge wieder Berge. Obwohl Ausgangspunkt und Ziel
gleich scheinen in dieser Parabel, klafft doch himmelweiter Unterschied
zwischen ihnen. Wie weit, das vermögen wohl nur jene zu ermessen, die Erleuchtung
tatsächlich erlangten, Befreiung, Erwachen. Eben das ist Ziel der Pilger,
die seit Jahrhunderten, vielleicht seit Jahrtausenden, zu diesem Schneedom
kommen, der ihnen als Thron der Götter, als Nabel der Welt gilt. Doch eine
reise, die dem Pfad solcher Sehnsucht folgt, beginnt nicht mit dem Aufbrechen
in der Heimat, gipfelt nicht im Ankommen am vermeintlichen Ziel und endet
nicht mit dem Heimkehren. Diese beschwerliche, mitunter gefahrvolle Fahrt
über Gebirge und Hochebenen zu einem Berg in einem der entlegensten Winkel
der Erde ist Sinnbild innerer Reise, der Suche nach dem eigenen Zentrum.
Sie beginnt tief im Herzen und führt wieder dorthin zurück. Ist das nicht
die wahre Bedeutung jeder Pilgerfahrt, gleich o zu einem Marienheiligtum
in Europa, zur Kaaba in Mekka, zu dem Feigenbaum, unter dem Buddha Erleuchtung
fand, oder zum Kailash, dem heiligsten Berg Asiens, wenn nicht gar der ganzen
Welt? Einen Schritt zu tun auf dem inneren Weg, Inspiration, Reinigung,
Erneuerung zu finden, um dem Eigentlichen näherzukommen, dem tiefsten Geheimnis
des Daseins.
Die Kälte zwingt rasch zum Rückzug ins Zelt, und doch bleibt das wirklich-unwirkliche
Bild des mondhellen Kailash in mir, treibt mit hinüber in unruhigen Höhenschlaf,
festigt das Gefühl, endlich angekommen zu sein am Ziel dieser Reise, an
einem Ziel, das doch nur Etappe ist auf einem viel längeren Weg.
Hier entsprechende Passage als Hörprobe