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Menschenrechte und Justiz in China

Es gibt eine große Zahl von gewaltlosen politischen Gefangenen, über die Informationen vorliegen. Dabei handelt es sich wahrscheinlich nur um einen kleinen Bruchteil der Gesamtzahl aller politischen Gefangenen in China, über die jedoch keine verläßlichen Schätzungen bekannt sind. Hauptbetroffene von Menschenrechtsverletzungen in Form von Strafverfolgung, Inhaftierung und Verurteilung sind katholische und evangelische Christen, Angehörige von Minderheiten (besonders aus Tibet), Arbeiter, Studenten und Intellektuelle, die Staat und Partei kritisieren. Geständniserpressung durch Folterung ist neben zum Teil unmenschlichen Haftbedingungen und dem Schlagen von Gefangenen ein ernstes Problem in der Volksrepublik China, obwohl körperliche Mißhandlung durch Justizpersonal verboten ist und bestraft wird.

Die Todesstrafe wird seit Gründung der Volksrepublik China angewandt, und Hunderttausende sind ihr zum Opfer gefallen, vor allem sogenannte "Konterrevolutionäre" und Personen, die von der Regierung als Schwerkriminelle bezeichnet werden. Sie wird auch heute noch in Fällen schwerer Kriminalität wie Mord und Vergewaltigung, bei Wirtschaftsverbrechen und auch in politischen Fällen angewendet. Offizielle Statistiken sind nicht bekannt, doch gehen die meisten zuverlässigen Beobachter von jährlich etwa tausend Hinrichtungen aus (abgesehen von Kampagnen).....

Die Gegenüberstellung von Verfassungs- und Gesetzesnormen sowie der Organe für öffentlich Sicherheit mit den Aktivitäten Oppositioneller in der Volksrepublik China weist auf einige grundsätzliche Problemfelder im Verhältnis zwischen Staat, Justiz und dem einzelnen hin: Wenn auch ein erheblicher Fortschritt in der Gesetzesgebung gemacht wurde, bieten zahlreiche unpräzise Beschreibungen von Straftatbeständen nach wie vor viel zu viel Mißbrauchsspielraum. Sie sind Instrumente in den Händen der Partei, die in verschiedenen politischen Situationen als Waffen gegen "Konterrevolutionäre" oder auch Andersdenkende eingesetzt werden können.

Im Kern geht es um das Verhältnis zwischen Partei und Justiz. Die Justiz braucht die Partei und den Staat, da nur diese beiden die Durchsetzung der Urteile sicherstellen können. Die Partei braucht ihrerseits die Justiz, um die Ernsthaftigkeit, mit der der Modernisierungsprozeß auch zu mehr Rechtssicherheit führen soll, unter Beweis zu stellen. Es ist vorläufig nicht mit dem Entstehen einer ernsthaften "Herrschaft des Rechtes" zu rechnen, in dem sich die politischen Instanzen zu weitgehender oder völliger Anerkennung jeder Justizentscheidung verpflichten. Realistischer ist ein langwieriger Entwicklungsprozeß, in dem die Justiz auf mehr und mehr Gebieten eine gewisse Unabhängigkeit erlangt, welche Parteieingriffe auf lange Sicht weniger wahrscheinlich macht. In den politischen Fällen von "Konterrevolutionären" und Fragen der öffentlichen Sicherheit wird und muß dieser Prozeß besonders konfliktreich ablaufen.

Vielleicht gehen manche führende Kreise in der Kommunistischen Partei Chinas von der Möglichkeit einer Modernisierung allein in wirtschaftlich-technischen Bereichen aus. Dies wäre ein folgenschwerer Irrtum:

Modernisierung ist immer mit Politisierung verbunden, und die Vorstellung, man könne ein höheres Wirtschaftswachstum und mehr Wohlstand ohne tiefgreifende Reformen auch in der Bürokratie, der Staats- und Parteiführung erreichen, ist eine Illusion. Weder konfuzianische Vorstellungen von einem patriarchalischen Staat noch eine Neuauflage der Volksrepublik nach dem politischen Modell von Mitte der fünfziger Jahre sind heute praktikabel. Es müssen neue Modelle politischer Beteiligung gefunden werden – dazu gehört vor allem ein breites Spektrum politischer Opposition. Da diese die Wurzeln der politischen Herrschaft, das Monopol politischer Macht in den Händen der Partei, angreifen, wird die Diskussion über neue Modelle zweifellos ungewöhnlich hart und kontrovers verlaufen.

Quelle: Wolfgang S. Heinz: Die fünfte Modernisierung - Menschenrechte und Justiz in der Volksrepublik China, S. 302 f. (China im Widerspruch - Mit Konfuzius ins 21. Jahrhundert? - Hrsg. Helmut Steckel, Rowohlt, Reinbek 1988)